Vortrag, gehalten  am 2. Mai 1997 im Rahmen der 28. Deutsch-Österreichisch-Schweizerischen Studientagung "Musik und Neue Medien" des Deutschen Tonkünstlerverbandes in Regensburg.
(Zitieren nur mit Herkunftsangabe gestattet.)


André Ruschkowski

Computer ?  Musik ! - Neue Kompositionstechniken am Beispiel zweier intermedialer Projekte  ("Salzburgtrum" und "Trakl-Zyklus")


Wenn heute von Computermusik die Rede ist, dann spricht man nach wie vor meist von den "unbegrenzten Möglichkeiten" dieses Bereiches, selten aber über konkrete musikalische Resultate, die durch die avancierte Anwendung elektronischer Kompositionstechniken entstanden sind. Dies soll hier anhand von zwei unterschiedlichen Beispielen geschehen, welche von mir 1995 und 1997 in Salzburg realisiert wurden.

Bei der Rolle, die ein Computer im Rahmen kompositorischer Prozesse spielen kann, scheiden sich nach wie vor die Geister. Zwei gegensätzliche Auffassungen stehen sich gegenüber:

1. Der Mensch, d. h. der Komponist, kann und sollte "von der Maschine lernen".

2. Maschinen sind "unmenschlich" und daher prinzipiell nicht in der Lage, Kunst zu schaffen. Computer sind bestenfalls als Werkzeug zu gebrauchen.

(zu 1.) Der Komponist Herbert Brün etwa geht von der Beobachtung aus, daß wir als denkende Wesen einem Computer zwar insgesamt überlegen sind, dennoch aber nicht in der Lage sind, das Gesamtpotential unserer Gehirne voll auszunutzen, frei zu verwalten und zeitlich die "eingebläuten gesellschaftlichen Bedingungen eines atavistischen Wettbewerbes um Leben und Tod zu koordinieren".
Er bemängelt, daß "unsere Denkbilder, sowohl die der Wirklichkeit, als auch die der sogenannten naturgegebenen Bedingungen für jegliche Wirklichkeit, überaltert und längst nicht mehr adäquat" sind.
Daraus leitet Brün die Notwendigkeit ab, sich vom Computer "helfen zu lassen", d. h. "von der Maschine zu lernen, was im menschlichen Hirn noch mobilisierbar wäre" (1).

(zu 2.) Es existiert ein prinzipieller Unterschied zwischen der "Denkweise" eines Computers, seiner formalen, an mathematischer Logik mit dem Ziel größtmöglicher Eindeutigkeit orientierten Sprache, und der Denkweise eines Komponisten, der selbst bei vermeintlicher Zufälligkeit seines Tuns nicht von individuellen und gesellschaftlichen Implikationen unabhängig ist. Anders dagegen das Auswahlprinzip des Computers, der - bei entsprechender Programmierung - mathematisch exakte Zufallsentscheidungen trifft.
Daher ist die Frage berechtigt, ob Zufallsoperationen nicht einem fundamentalen ästhetischen Prinzip entgegenstehen: dem, daß Kunst aus der Planung und organisierten Präsentation verwandter Reize entsteht (2).

Daraus folgen zwei verschiedenartige Zielsetzungen und Vorgehensweisen beim kompositorischen Computereinsatz:
Die erste Methode besteht in der weiteren Entwicklung musikalischer Algorithmen mit dem Ziel einer immer genaueren Simulation menschlicher Denkvorgänge bei der musikalischen Komposition um entsprechende Musikstücke schließlich "automatisch" zu generieren. (algorithmische Komposition, Künstliche Intelligenz)
Die zweite Methode integriert menschliche Entscheidungsprozesse in die computergestützte Komposition, was letztlich auf eine Interaktion zwischen Mensch und Computer innerhalb schöpferischer - d. h. hier kompositorischer - Prozesse hinausläuft.

Meine Präferenzen liegen eindeutig bei der zweiten Methode. Eine solche kompositorische Vorgangsweise soll an zwei konkreten Beispielen erläutert werden.

Im Mai 1995 hatte im Rahmen des Musikfestivals Aspekte das einstündige Stück SALZBURGTRUM Premiere, dessen musikalisches Material sich aus zwei gegensätzlichen Ebenen zusammensetzt:
Originalton-Aufnahmen von ausgewählten Orten der Stadt Salzburg (Dom, Getreidegasse, Mozarteum, etc. - im Konzert repräsentiert durch ein 8-Kanal-Tonbandeinspiel), sowie drei solistisch agierende Musikinstrumente (Violine, Flöte, Perkussion).
Der Verlauf des Stückes wird durch verschiedenartige Transformationen zwischen Originalklang- und Instrumentalklang-Ebene bestimmt, die mit Hilfe elektronischer Mittel im Computer geplant und realisiert wurden.

Diese kompositorische Strategie leitet sich aus der Beobachtung ab, daß mit dem fortschreitenden Verschwinden räumlicher Barrieren durch weltweite Kommunikation und Mobilität auch die Sensibilität für das wächst, was den jeweiligen Lebensraum eigentlich ausmacht. Zu dessen unverwechselbaren Charakteristiken gehört auch die - oft nur unbewußt wahrgenommene - individuelle Klangwelt. Diese ist in ihrer Struktur für jeden Bewohner von seinen Tätigkeiten in diesem Raum geprägt, besitzt aber darüber hinaus - durch die vielfältigen Verflechtungen mit den Klangwelten anderer Personen dieses Raumes - stark gemeinschaftlichen Charakter.

SALZBURGTRUM ("Trumm": österreichisch für "großes Stück", "Trümmer") thematisiert diese Vielschichtigkeit individueller menschlicher Raumwahrnehmungen und deren Verflechtungen in der Stadt Salzburg anhand charakteristischer Klangzeichen.

Die Anordnung und Modifikation der O-Ton- und der instrumentalen Elemente nach dramaturgischen Gesichtspunkten lassen zwölf deutlich voneinander unterscheidbare Formteile entstehen, die bei der Aufführung mit jeweils individuellen Lichtstimmungen korrespondieren.
 

Salzburgtrum 1

Abb. 1
 

Salzburgtrum 2

Abb.2
 

Salzburgtrum 3

Abb.3

Abb. 1-3 Bildunterschrift:  Zeitliche Struktur von SALZBURGTRUM, dargestellt anhand der Bildschirmoberfläche des Programmes ProTools, mit dessen Hilfe die einzelnen Klangelemente der Komposition zusammengefügt wurden.

Die Modifikation der Originalklänge erfolgte mit Verfahren elektronischer Musik, vorzugsweise auf digitaler Ebene im Computer. Dazu gehört vor allem das "Mikroskopieren", d. h. das zeitliche Dehnen, sowie das "Verdichten" (Stauchen) von Klängen und Klangstrukturen, um so Bekanntes - d. h. die Originalklänge bzw. deren Bestandteile - aus neuartigen Perspektiven hörbar zu machen. Diese Arbeitsweise wäre vergleichbar mit der Technik des Filmschnittes, mit deren Hilfe Objekte aus verschiedenen Perspektiven sichtbar werden können.

Es kommt zur gegenseitigen Beeinflussung von Einzelklängen, deren wechselseitiger Durchdringung, zur Bildung von Klangschichten, bis hin zur Preisgabe ihrer Wiedererkennbarkeit, d. h. zur Aufgabe der Individualität einzelner Klangelemente.
Auch hier gibt es Parallelen zu grafischen Techniken. Indem die originalen Klänge mit ihren elektronischen Transformationen kombiniert werden, kann man hier auch von einer "akustischen Übermalungstechnik" sprechen.

Die Instrumentalsolisten mit ihrer flexibel handhabbaren Individualität sind Teil dieses Prozesses von Überlagerung und Durchdringung, indem sie sowohl ihrerseits auf die O-Töne reagieren, d. h. sich zwischen Anpassung und Opposition zu diesen bewegen, als auch in ihrer freien Entfaltung durch die anderen Klangkategorien (Instrumentalklang elektronisch modifiziert, O-Ton elektronisch modifiziert, O-Ton unbearbeitet) beeinflußt werden.

Dieses kompositorische Vorgehen soll an einem Detail kurz erläutert werden: Der Abschnitt von SALZBURGTRUM, in dem die Instrumente zum zweiten Mal solistisch agieren (ab 44:00 bis ca. 52 Min.), entstand unter ausschließlicher Verwendung von akustischem Material der anderen SALZBURGTRUM -Abschnitte. Durch eine elektronische Verkürzung des Zeitmaßstabes entstanden zeitlich komprimierte Varianten der ursprünglichen "Salzburgtrum"-Abschnitte, welche in diesem Teil — abweichend von ihrer ursprünglichen Reihenfolge — simultan und sukzessiv miteinander neu kombiniert werden. Das Ergebnis dieser Neukombination mit vielen Klangelementen von SALZBURGTRUM im zeitlich komprimierten Maßstab (10:14 Min.) ist separat als elektronische Tonbandkomposition "Nasoma"aufführbar.

Für die Aufführung von SALZBURGTRUM wurde diese Tonbandkomposition im Computer mit Programmen zur Klanganalyse (CERL-Lemur) auf ihre dominierenden musikalischen Eigenschaften hin untersucht und diese Charakteristiken als Grundlage für die Schaffung einer Komposition für Flöte, Violine und Perkussion verwendet. Die so entstandene Komposition "Sonama" für diese drei Instrumente ist Bestandteil von SALZBURGTRUM, kann aber auch separat aufgeführt werden.

Während normalerweise elektronische Klänge als Erweiterung instrumentaler Spieltechniken angesehen werden, verhält es sich in "Sonama" genau umgekehrt. Die Instrumente erzeugen nicht nur Klänge, die elektronischen Schöpfungen vergleichbar sind, sie erweitern diese auch. Das geschieht durch die in der Spieltechnik der Instrumente begründeten komplexen Verknüpfung klanglicher Parameter. Diese Parameter, wie die Hüllkurvenverläufe einzelner Obertöne etwa, sind mit elektronischen Mitteln separat gestaltbar, bei mechanischen Instrumenten jedoch ausschließlich in ihren wechselseitigen Abhängigkeiten kompositorisch formbar. Dieser Zusammenhang führt in "Sonama" bei der Gestaltung klanglicher Parameter zu einer neuen Ebene, welche die komprimierten Formteile aus SALZBURGTRUM um eine weitere Schicht bereichert.


Während in SALZBURGTRUM Computer bzw. elektronische Techniken vor allem als Werkzeug zur flexiblen Klangaufzeichnung und -bearbeitung verwendet wurden, kommen im "Trakl-Zyklus" Computer auch auf der strukturellen Ebene des Komponierens zum Einsatz.

Am 29. Mai 1997 wird in Salzburg dieser Kompositionszyklus für Sopran, Ensemble und Tonband uraufgeführt, welcher sämtliche Elemente der musikalischen Gestaltung unmittelbar aus poetischen Texten von Georg Trakl ableitet. Dabei werden diese Texte nicht im traditioneller Weise "vertont", sondern sie bestimmen sowohl die Klangfarben als auch die Struktur des musikalischen Resultats auf direkte Weise. Diese klanglichen Transformationen des Textes geschehen durch verschiedene Arten von Text- bzw. Klang-Analyse mit elektronischen Mitteln.

Bevor die technischen Prozesse erläutert werden, soll zunächst die Frage nach dem Warum einer solchen Texthandhabung nicht übergangen werden.

Es gibt zahlreiche Parallelen zwischen Poesie und Musik, da es sich in beiden Fällen um zeitlich strukturierte auditive Ereignisse handelt, die jeweils spezifischen Regeln ästhetischer Produktion unterworfen sind. Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts übte vor allem die bildende Kunst einen starken Einfluß auf das musikalische Denken von Moderne und sich ab 1910 entwickelnder Neuer Musik aus.
Daher ist nicht erst seit Pierre Boulez' Aufsatz "An der Grenze des Fruchtlandes" der Maler und Kunsttheoretiker Paul Klee auch in der Musik des 20. Jahrhunderts ein wichtiger Bezugspunkt. Neben dem musikalisch inspirierten Charakter eines großen Teils seines bildnerischen Schaffens - Klee war bekanntlich auch ein guter Geiger - und seinen Aktivitäten beim "Blauen Reiter" gibt es aber noch eine weitere bemerkenswerte, bisher aber kaum beachtete Seite in Klees Schaffen. Sie betrifft Grundzüge seiner bildnerischen Schaffensästhetik um 1920 und ihr bisher ungenutztes Potential im musikalischen Kontext.

Ab 1916 begann Paul Klee den Vorrat seiner Darstellungsmittel um abstrakte Zeichen, Zahlen und Buchstaben zu erweitern. In dem 1918 entstandenen Aquarell "Einst dem Grau der Nacht enttaucht ..." nahm Klee einen geschriebenen poetischen Text als unmittelbaren Ausgangspunkt für die malerische Gestaltung.

Abb. 4 - Paul Klee: "Einst dem Grau der Nacht enttaucht ..." (1918)

Dieser Text ist im Bild so deutlich gegenwärtig, daß die Buchstabenketten nicht nur die Struktur des Bildes fast vollständig determinieren, sondern die Konturen der Buchstaben begrenzen auch die einzelnen Feldflächen, mit deren Farbwahl er den semantischen Inhalt der Textzeilen direkt kommentiert. Klee verwendet hier also die Darstellung eines poetischen Textes als bildkompositorischen Ausgangspunkt, und zwar sowohl auf der formalen, als auch auf der inhaltlichen Ebene.

Aus dem Jahr 1920 stammen Ölbilder, wie "Rhythmische Baumlandschaft" oder "Kamel in rhythmischer Landschaft", in denen deutliche gestalterische Parallelen zum Textaquarell von 1918 erkennbar sind.

Abb. 5 - Paul Klee: "Kamel in rhythmischer Landschaft" (1920)

Die strenge horizontale Gliederung, ursprünglich durch die Textketten determiniert, wird hier von Klee als zentrales Strukturierungsprinzip beibehalten obwohl er nun keinen erkennbaren Text mehr benutzt. Die Verwendung des Wortes "rhythmisch" im Bildtitel ist ein deutlicher Hinweis auf die zeitliche Dynamisierung, die Klee mit Hilfe von Texten in seinen Bildern zu erreichen gedachte, wie er in seinem im gleichen Jahr erschienenen Manifest "Schöpferische Konfession" anmerkt. Diese horizontalen Gliederungen bilden nun das Gerüst für eine freizügigere malerische Gestaltung dessen, was sich zwischen diesen Linien abspielt. Beim "Kamel in rhythmischer Landschaft" ist die Verwandtschaft mit den wenige Jahre zuvor entstandenen Textbildern in den Konturen des Kamels besonders deutlich sichtbar.

Im Gesamtschaffen von Paul Klee markieren diese Bilder eine Etappe auf dem Weg zu seinen nur wenig später entstandenen Farbform-Rhythmus-Gemälden, die sich u. a. durch weiterreichende formale Abstraktionen auszeichnen. Klee griff also in einer für ihn bedeutsamen Phase künstlerischer Neuorientierung auf sprachliche Strukturen zurück, um diese als Ausgangspunkt sowohl für formale als auch inhaltliche Gestaltung zu verwenden. Dabei nutzte er die Qualität der Sprache, d. h. in seinem Fall poetischer Strukturen, als unmittelbar wirksames, allgemein verständliches Medium menschlicher Kommunikation und daher auch künstlerischer Artikulation.

Aus der Wirksamkeit dieses Konzeptes in der bildnerischen Sphäre folgt, daß sich auch im musikalischen Bereich Sprache auf diese Weise einsetzen lassen müßte. Sprache bzw. poetischer Text würde dann nicht auf konventionelle Weise vertont, sondern sowohl auf formaler als auch auf klanglicher und inhaltlicher musikalischer Ebene als Ausgangspunkt für die finale Gestaltung eines musikalischen Objektes verantwortlich sein (3).

An diesem Punkt liegt der kompositorische Ansatz des "Trakl-Zyklus". Er besteht insgesamt aus vier Kompositionen, welche jeweils einen poetischen Text von Georg Trakl als Basis musikalischer Gestaltung verwenden ("Ruh und Schweigen" für "In blauem Kristall", "Der Schlaf" für "Weißer Schlaf", "Hohenburg" für "Dunkle Stunde", "Nachtseele" für "Unter steinernen Bogen"). Die Texte von Georg Trakl determinieren direkt sowohl die Struktur als auch die Klanglichkeit der einzelnen Kompositionen.
 
DER SCHLAF  (1. Fassung)

Getrost ihr dunklen Gifte
Erzeugend weißen Schlaf

Einen höchst seltsamen Garten

Dämmernder Bäume

Erfüllt von Schlangen, Nachtfaltern,

Fledermäusen;

Fremdling dein jammervoller Schatten

Schwankt, bittere Trübsal

Im Abendrot!

Uralt einsame Wasser

Versanken im Sand.

Weiße Hirsche am Nachtsaum
Sterne vielleicht (?)!

Gehüllt in Spinnenschleier

Schimmert toter Auswurf.

Eisernes Anschaun.

Dornen umschweben

Den blauen Pfad ins Dorf,

Ein purpurnes Lachen

Den Lauscher in leerer Schenke.

Über die Diele

Tanzt mondesweiß

Des Bösen gewaltiger Schatten.

DER SCHLAF  (2. Fassung)

Getrost ihr dunklen Gifte,

Weißer Schlaf!

Dieser höchst seltsame Garten

Dämmernder Bäume

Erfüllt von Schlangen, Nachtfaltern,

Spinnen, Fledermäusen.

Fremdling! Dein verlorner Schatten

Im Abendrot,

Ein finsterer Korsar

Im salzigen Meer der Trübsal.

Aufflattern weiße Vögel am Nachtsaum

Über stürzenden Städten

Von Stahl.

Abb. 6 - Textgrundlage von Georg Trakl für "Weißer Schlaf"
 

Dazu wurden die jeweiligen Texte zunächst durch die Sopranistin Sigune von Osten bzw. den Komponisten rezitiert und das klangliche Ergebnis mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet. Diese Aufzeichnungen der gesprochenen Texte wurden anschließend im Computer verschiedenen Klanganalysen unterzogen. Die so gewonnenen Parameter über Zeit- und Frequenzstruktur der Grund- und Obertöne bildeten den Ausgangspunkt für den Tonsatz von Sopran, Instrumenten und auch für die Gestaltung des Klangmaterials der entsprechenden Tonbänder.

Die formale Struktur der jeweiligen Kompositionen wurde direkt aus den rezitierten Trakl-Texten abgeleitet, indem die Zeitachse der Originalaufnahmen um das 8 bis 12fache linear gedehnt wurde, so daß deren ursprüngliche Proportionen erhalten blieben.
 

Weisser Schlaf - Klangstruktur

Abb. 7  Ableitung der Klangstruktur von "Weißer Schlaf" aus den rezitierten Trakl-Texten
 

Die Frequenzspektren der gedehnten Textaufnahmen wurden jeweils in vier Oktavbänder unterteilt um die zeitliche Zu- und Abnahme von Grund- und Obertönen der Sprechstimme in den jeweiligen Frequenzbereichen zu isolieren. Im Klangmaterial dieser Oktavbänder wurden nun mit Hilfe der Fast Fourier Transformation (FFT) die dominierenden Frequenzanteile ermittelt und diese in musikalische Tonhöhen übertragen. Die so abgeleiteten Tonhöhenstrukturen bildeten den Ausgangspunkt für die Komposition des Sopranparts und der Instrumentalstimmen.

Das 4 Kanal-Tonband beinhaltet Klangmaterial, welches sich ausschließlich aus den rezitierten Texten ableitet. Es wurde im Computer auf bis zu 15 Audiospuren ausgearbeitet und zur räumlichen Separierung komplementärer Klangereignisse sowie deren Bewegung im Raum auf eine Hörebene rund um das Publikum projiziert. Das 2-Kanal-Tonband transformiert die ursprünglich vierkanaligen Raumbewegungen so weit wie möglich in die räumliche Tiefe des Stereo-Panoramas.

Die Tonband-Fassung von "Weißer Schlaf" ist nicht vollständig identisch mit der Konzert-Fassung. Sie beinhaltet - bei gleichem Tonbandpart - eine "elektronische Sopranstimme", d. h. eine am Sopranpart der Konzert-Fassung orientierte, aber mit weitergehenden elektronischen Mitteln variierte und modifizierte Solostimme.
Die endgültige Form und die verschiedenen Klangfarben-Charakteristiken resultieren weitgehend aus einer simultanen Überlagerung der beiden auf verschiedene Arten rezitierten Fassungen von Georg Trakls "Der Schlaf" mit ihren jeweiligen elektronischen Transformationen.
 

Weisser Schlaf - Mix

Abb. 8 - Bildunterschrift:  Die Bildschirmoberfläche des Harddisk-Recording Programmes ProTools ermöglicht einen anschaulichen Einblick in die Struktur der Komposition "Weißer Schlaf". Die wagerechte Ebene stellt die Zeitachse dar. In der senkrechten Ebene sind bis zu 15 Audiospuren erkennbar, auf denen die einzelnen Klangsegmente anhand von Wellenformen und ihren jeweiligen Lautstärke-Hüllkurven erkennbar sind. Im unteren Bereich der Darstellung befinden sich sechs Lautstärke-Hüllkurven für die jeweils individuelle Regelung der Räumlichkeitsanteile von Klangsegmenten der Audio-Spuren.
 
 

Fußnoten:

(1)    Herbert Brün, Über Musik und zum Computer.- (G. Braun) Karlsruhe 1971.- S. 91.

(2)    Gerald Strang, Ethics and Esthetics of Computer Composition.- in: The Computer and  Music.- Hrsg. Harry B. Lincoln.- (Cornell University Press) Ithaca and London 1970.- S.  39/40.

(3)    ausführlicher dazu in: André Ruschkowski: "Fluchtpunkt Sprache - Komponieren im  elektronischen Medium". in: Neue Zeitschrift für Musik, Mainz (Schott), 157. Jg. (1996),  Heft 5 (September/Oktober), S. 28-33.
 
 



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